Eine über die Grenzen Vorarlbergs bekannte Straße ist die KäseStrasse Bregenzerwald. Dabei ist sie gar kein Straßenzug, sondern eine Marke – für die ländliche Region und ihren Käse. Ein Netzwerk von Erzeuger:innen und Vermarkter:innen. Eine Philosophie eines Qualitäts- und Genussprodukts sowie als „Themenstraße“ ein Erlebnisreich für Gäste und Einheimische. Initiator Reinhard Lechner stammt aus der Oststeiermark, gilt aber mittlerweile als „Urgestein der KäseStrasse“. Ein Bregenzerwälder Ritterschlag, den er sich mit dieser Idee redlich verdient hat.
Die Partnerbetriebe der KäseStrasse Bregenzerwald produzieren jährlich 55 Millionen Kilogramm Käse. Die silofreie Heumilch für den legendären Bergkäse kommt von über 950 Bauern und Bäuerinnen aus der Region. Denn die Milchwirtschaft und Käseproduktion haben im Bregenzerwald Tradition. Der Wälder Schriftsteller, Sozialreformer und Bauer Franz Michael Felder gründete 1868 im Wald den ersten Käsehandlungsverein, um das Monopol der berüchtigten Käsegrafen zu brechen. Heute gibt es bei allen Käsemacher:innen Führungen und Ausstellungen, wie in Schoppernaus Bergkäserei oder im Käsekeller Lingenau, wo 55.000 Laibe Bergkäse und Alpkäse ausgereift werden. Sechs bis sieben Sorten sind in einer Käseregion normalerweise üblich, der Bregenzerwald hat 80 verschiedene Käsesorten. „Das gibt es sonst nirgends und macht die Region so besonders“, betont Reinhard.
Diese einzigartige Vielfalt präsentiert die KäseStrasse Bregenzerwald, im Mittelpunkt stehen aber die bäuerlichen Erzeuger:innen. Ideengeber Reinhard wusste das perfekt zu inszenieren. Er selbst hatte ein bewegtes Leben und kam über Umwege von der Steiermark über Spanien in die Schweiz und schließlich nach Vorarlberg. Im Nachbarland verdiente er sich die ersten Sporen in der Gastronomie und ließ sich zum Betriebsökonom ausbilden. Das feierte er in einer Weinstube im Ländle, wo er spontan ein Jobangebot eines Gastes annahm und die Restaurants einer Lebensmittelkette in Österreich leitete. In den 90ern zwang ihn ein Unfall zu einer zweijährigen Auszeit, wonach er neu ins (Berufs-)Leben finden musste. „Die Landwirtschaftskammer Vorarlberg suchte zu jener Zeit jemand fürs Marketing von Ländle-Produkten. Darauf habe ich mich mit Halskrause und Krücken beworben“, kann der 70Jährige heute über seine Anfänge lachen.
Viele Initiativen hat er in seiner Karriere im Land Vorarlberg initiiert und begleitet, wie „Natur und Leben Bregenzerwald“ und die berühmte „Bregenzerwälder KäseStrasse“. Kräftige Impulse gab es auch für das „Junge Gastgewerbe Vorarlberg“ und dessen Partnerschaften mit bäuerlichen Produzent:innen im Ländle, „bewusst leben Montafon“ sowie „Walser Bura im Kleinwalsertal“. Für den „Direktvermarkterverein“ stand Reinhard immer im Dialog mit der Landespolitik, Wirtschaftstreibenden, dem Gastgewerbe, Tourismusbetrieben sowie Bauern und Bäuerinnen und regionalen Netzwerken. 1998 wurde die KäseStrasse nach fünfjährigem Entwicklungsprozess offiziell gegründet.
Rund 200 Partnerbetriebe hat Reinhard bei der Entwicklung der KäseStrasse angeworben. Heute sind 12 Sennereien, 38 Alpen, 50 Gastronomiebetriebe, 36 Käsewirt:innen, Einkehrgasthäuser und landwirtschaftliche Betriebe aus dem Bregenzerwald Teil der Initiative. „Ich habe damals jeden Bürgermeister und jede Bürgermeisterin motiviert und war in allen 26 Gemeinden des Bregenzerwaldes. Nachdem wir 93‘ die erste Bergkäseprämierung in Schwarzenberg durchgeführt haben, wollten wir die 1.000-jährige Käsegeschichte der Region nach außen tragen“, erzählt der Steirer.
Ein Zusammenschluss zur Förderung der Bregenzerwälder Käsekultur mit heute 180 Mitgliedern entstand. „Was die KäseStrasse ausmacht, sind ihre Mitwirkenden und die Region. Beide haben ihre eigenen Geschichten, die wir miterleben dürfen“, meint der Ideengeber und bekräftigt: „Wir haben für jede Gemeinde eine Funktion in der KäseStrasse gefunden, die zum Ort passt – nicht umgekehrt. Dadurch können wir unsere authentische Geschichte erzählen.“
Eigentlich sollte es ja eine Vorarlberger KäseStrasse werden, vom Montafon bis in den Bregenzerwald. Denn der „Sua Kees“ (saurer Käse) aus dem Montafon ist der älteste Käse im Land. „Wir haben dann aber
gespürt, dass die Bregenzerwälder:innen eine eigene Mentalität und Geschichte haben. Wir wollten ihren Käse aber nicht nur sensorisch beschreiben, sondern auch Besondere der Menschen und ihrer Region hervorheben“, erklärt Reinhard. Die Bregenzerwälder hätten von sich aus schon den Anspruch „b‘sundrig“ zu sein, meint er zu wissen. Das „Miteinander“ wird hier nicht nur großgeschrieben, sondern tatsächlich gelebt, und dass auch bei Meinungsverschiedenheiten. „Sogar wenn man sich hier ‚streitet‘, dann immer mit Respekt untereinander“, stellt Reinhard nach seinen Erfahrungen im Wald fest.
„Meor ehrod das Ault, und grüssed das Nü, und blibot üs sealb und dr Hoamat trü“ („Wir ehren das Alte, begrüßen das Neue und bleiben uns selbst und unserer Heimat treu“).
Im Bregenzerwald seien Innovationen keine aus den Wolken gefallenen Ideen, sondern wachsen von innen heraus. „Die eigene Identität hat hier einen hohen Stellenwert. In einem anderen Teil Österreichs würde das überheblich wirken, aber im Wald nicht. Die Bregenzerwälder:innen sind nach innen zwar spannungsreich, aber nach außen halten sie zusammen wie eine römische Legion“, meint Reinhard. Deshalb war es für ihn auch kein Wunder, dass er als Steirer mitunter mehr mitreden durfte als jemand aus dem Rheintal, „vom Land“ draußen. „Sie mussten ja keine Landesgeschichte mit mir teilen. Das hat alles seinen Grund – die Wälder:innen waren schon früh gezwungen unter sich zu sein, weil früher die Verbindungen nach draußen gefehlt haben. Außerdem haben sie ihre Ausdauer und Hartnäckigkeit in der Bauernrepublik und aufgrund der Tunnelpolitik Innerösterreichs gelernt“, analysiert der Wegbereiter.
Die KäseStrasse sei auch deshalb ein Stück Kultur und ein vielfältiger Erlebnisraum, der überall in der Region anders präsentiert werde. Wie die Bregenzerwälder:innen ihre Eigenheiten hätten, habe auch jede Alpe und Sennerei ihr individuelles Markenzeichen. Je nach Ort schmecke der Käse zudem anders. „Er ist ein Genussprodukt, das nicht nur in den Magen, sondern tiefer, in Leib und Seele geht. Hier isst man Tradition und Kultur mit. Das wollten wir bei den Menschen mit der KäseStrasse zum Schwingen bringen und ist dieser besondere Wert, den man nur im Bregenzerwald einkaufen kann“, betont der Ideengeber.
Die Weichen für die Zukunft seien auch schon gelegt, nun hänge die Weiterentwicklung der KäseStrasse aber von den Mitgliedern und ihren Vorstellungen ab. „Die KäseStrasse ist eine lebendige Gemeinschaft, die verschiedene Facetten haben kann“, meint Reinhard und stellt fest: „Im Wald müssen wir nichts erfinden, sondern es gibt immer wieder Parallelen und Gemeinsamkeiten, auch mit anderen Regionen, wie der Weinviertler Weinstraße zum Beispiel, wo man andocken kann. Diese Geschichten sind wertvoll und der Bregenzerwald weiß das auszukosten, Vorarlberg sowieso.“
Für Damüls, vom Großen Walsertal kommend das Tor zum Bregenzerwald, wünscht sich der 70-Jährige deshalb noch eine intensivere Käsekultur. Alpen, wie die Alpe Uga oder die Alpe Oberdamüls sowie einige Tourismus- und Gastronomiebetriebe, sind bereits Mitglieder in der KäseStrasse. „Ich könnte mir für Damüls Faschina gut mehrere Dorfrundgänge mit Käse- und Weinverkostungen im Sommer wie Winter vorstellen. Aber auch etwas Stationäres, wie beispielsweise ein Käseraffinierzentrum“, erzählt Reinhard. Denn in allen guten Käseregionen gebe es heute Affineure, die Käse verfeinern und veredeln.
„Vielleicht wären Käse-Kochkurse für Gäste und Touristen ein Hit, ‚Wälder Happa‘ – ähnlich wie spanische Tapas mit Käse in den Mitgliedsbetrieben oder ein jährliches Käsefest, das zur Tradition werden könnte“, zählt Reinhard auf. Jede Idee brauche aber immer jemanden, der glaubwürdig dahinterstehe. „Das ist im Bregenzerwald schon gang und gebe. Wenn es eine Identität gibt, wird es sowieso zum Wälder Produkt. Weil sie zu Recht unglaublich stolz darauf sind“, freut sich der Pionier, dem der Erhalt der Regionalität ein Herzensanliegen ist.
Wenn man von London über Bukarest bis nach Malta nur dasselbe zu essen bekomme, seien unterschiedliche Regionen zwecklos. „Die regionale Wertschöpfung ist im Eimer und auch der Tourismus macht
keinen Sinn. Wir müssen weiterhin unsere Lebens- und Genussmittel dort erzeugen, wo es der Natur und Kultur entspricht. Unsere Regionen müssen unterschiedlich bleiben – im Geschmack, im Geruch, im
Auftreten. Dann ist es spannend, diese kulinarisch zu entdecken“, denkt der KäseStrasse-Macher und betont zum Abschluss: „Wir müssen uns ganz bewusst zu unserer Regionalität bekennen und diese ausleben.
Alle sollen das machen, worin sie gut sind. Dann kommen wir in einen gesunden Wettbewerb und Austausch, was den Regionen Substanz wie auch Wertschöpfung sichert. Dazu gehören Geschichten und
Identitäten mit Dialekten und Traditionen. Denn hinter jedem Produkt stehen ihre Erzeuger:innen, die Region und ihre Landschaft.“