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BERGTEE AUS DEM GROSSEN WALSERTAL

Von der Natur lernen

„Bergtee ist kein Produkt, Bergtee ist eine Geschichte!“, antwortet Elisabeth Burtscher auf die Frage, was es mit diesem besonderen Tee aus dem Großen Walsertal auf sich hat. Die Geschichte erzählt von einer Idee, mit der Sohn Hanno vor über zwanzig Jahren auf sie zukam. Von Frauen in idyllischen Bergdörfern, die Kräuter sammeln, trocknen und mischen. Von Weisheiten und traditionellem Wissen, das mit dieser Initiative und einem Buch von einer zur nächsten Generation weitergegeben wird.

Warum ist Bergtee eigentlich kein Produkt? Elisabeth meint: Die Kräuter und Pflanzen, die bei uns auf den Wiesen in den Bergen wachsen, können nicht produziert werden. Deshalb sind unsere Teemischungen auch kein Produkt. Die ehemalige Schulleiterin aus Fontanella initiierte 2001 gemeinsam mit ihrem Sohn und der befreundeten Teemischerin Ilga Bickel ein einzigartiges Projekt, das für die Region, ihre natürliche Vielfalt und die damit verbundenen Menschen von großer Bedeutung ist.

BEWUSSTSEIN BILDEN

Obwohl der Bergtee im biosphärenpark.haus und anderen Geschäften im Großen Walsertal vertrieben wird, ist es kein Verkaufsprojekt. Es soll Bewusstsein bilden, Nachhaltigkeit im Kleinen vorleben sowie die Ehrfurcht vor der Natur und ihren endlichen Ressourcen stärken. „Alle, die bei uns wohnen und Urlaub machen, können sich umschauen und feststellen, wie intakt die Natur hier noch ist. Wie farbenfroh, wie unterschiedlich im Geruch und Geschmack. Wie wertvoll und kostbar alles ist, was hier aus dem Boden sprießt“, betont die 77-Jährige.

Die Idee für Bergtee entstand dabei an einem ganz anderen Ort. Hanno Burtscher, erfolgreicher Lehmbau-Architekt, schaute während seiner Studienzeit in einem Wiener Kaffeehaus vorbei. Es versetzte
dem naturverbundenen Studenten aus Fontanella einen kleinen Stich ins Herz, als er „Griechischer Bergkräutertee“ auf der Karte las. Er fragte nach und sagte: „Bei uns gibt es auch Berge und Kräuter. Warum
haben Sie hier keinen aus meiner Heimat im Sortiment?“

Es war das erste Jahr der Gründung des UNESCO-Biosphärenparks Großes Walsertal, und natürlich gab es Tee. Viele Frauen sammelten Blätter und Blüten für die eigenen Familien, aber anderswo wusste niemand, dass dieser Tee etwas Besonderes ist. Auch gab es noch nichts Gemeinsames.

TEE IST EIN GENUSS

Hanno fragte Elisabeth daraufhin, ob sie sich vorstellen könne, 30 Kilogramm Bergtee nach Wien zu liefern. „Ich musste lachen, das sind etwa 60 riesengroße Papiertaschen vollgestopft mit trockenen Blättern. Das erste Missverständnis“, schmunzelt die Initiatorin. Dennoch, der Samen war gesät und Elisabeth nahm Kontakt mit der befreundeten Teemischerin Ilga aus Blons auf, um eine gute Mischung Bergtee aus dem Ländle nach Wien zu schicken. Schon als Kinder wurden die beiden von ihren Müttern losgeschickt, um Kräuter zu sammeln. Wenn sie in der Höhe waren, haben sie Silbermantel und Thymian gepflückt. Nicht nur für Tee, sondern zum Kochen, wie Löwenzahnblätter für den Kartoffelsalat.

„Es ging nicht um die Heilkraft, sondern um den Genuss“, betont Elisabeth. Dieser Gedanke ist auch Teil der Geschichte. „Wenn man in einem engen, schmalen Tal wohnt, hat man ‚albis‘ (immer) das Gefühl, dass draußen alles besser ist. Daraufhin haben wir gesagt, das muss nicht so sein und mit Bergtee können wir es beweisen“, erklärt Elisabeth.

Die Teelieferung nach Wien kam so gut an, dass zwei Kilogramm Bergtee im ersten Sommer in die Hauptstadt geschickt wurden. In fast jeder Ortschaft luden die Projektinitiatorinnen daraufhin mehrere Kräuterfrauen zu Teegesprächen ein. „Wir haben entschieden, wenn wir Bergtee machen, wollen wir nicht nur die Blätter und Blüten, sondern auch das Wissen und die Weisheiten der Frauen sammeln“, bekräftigt die Walserin. Ein starkes Netzwerk entstand und die Frauen teilten nach anfänglicher Unsicherheit ihre Erfahrungen untereinander aus. „Ich habe ihnen gesagt, ich bin mir ganz sicher, dass zumindest einige von euch etwas wissen. Daraufhin haben alle etwas gewusst“, erzählt Elisabeth.

WEISHEITEN TEILEN

Kräuter solle man niemals verärgert sammeln, lautet eine Weisheitder Kräuterfrauen. „Da wir aber schon ein nüchterner Klub sind und ohne stimmungsvolles Licht und Räucherstäbchen arbeiten, haben wir gesagt: So heikel wird es wohl nicht sein, sonst könnten wir den ganzen Sommer keine Kräuter sammeln. Also fängt man verärgert halt nicht gleich zu pflücken an, sondern geht weit nach oben und nach zwei Stunden ist der ganze Ärger dann verflogen“, führt Elisabeth ein Beispiel aus. Auch Kräuterwissen wurde geteilt und sich auf die Herstellungsweise des Walser Bergtees geeinigt. Die Kräuter sollen, wenn möglich nicht im Trockner, sondern in aller Ruhe an der Luft ohne direkte Sonneneinstrahlung trocknen. „Wir kontrollieren das aber nicht, sondern überlassen es den Frauen, wie sie es machen. Es geht uns auch ums Vertrauen und das haben wir“, betont Elisabeth.

SIEBEN KRÄUTER

So sammeln und trocknen sie bei sich zu Hause die einzelnen Pflanzen. Mit sieben verschiedenen Kräutern wird der Bergtee in Folge von Ilga und Elisabeth gemischt. Denn nur Apotheken dürfen einzelne Sorten, wie Pfefferminz- oder Lindenblütentee, verkaufen. „Wir geben auch keine medizinischen Ratschläge. Außerdem gibt es schon wissenschaftliche Studien, die die Heilkräfte von Kräutern belegen. Wir möchten vielmehr Wissen, Erfahrungen und Praktiken, der mit Bergtee in Verbindung stehenden Menschen erzählen und die Vielfalt unserer Bergkräuter zeigen“, erklärt Elisabeth.

Sie nehmen den Kräuterfrauen deshalb alles ab, was diese gerne sammeln. Was sie für die eigene Familie und für Freunde brauchen, sollen sie auf die Seite geben und das, was übrigbleibt, holen Ilga und Elisabeth ab. „Wir nehmen beispielsweise Silbermantel, der im Gebirge gepflückt wird, aber auch Goldmelisse oder Thymian aus den Gärten der Frauen. Aber
wir säen nichts an“, betont die Mitgründerin. Welche Kräuter daraufhin kommen und wie viel davon, wissen sie vorher nicht. Es gebe Jahre, da falle ein Kraut sowieso aufgrund des Wetters weg. „Deshalb können wir mit dem, was uns die Natur gibt, nur verschiedene Mischungen machen“, so die Teeliebhaberin.

GESCHENKE DER NATUR

Die Pflanzen sehen die Kräuterfrauen als Geschenke der Natur. „Die kann man nicht mit Geld aufwiegen. Aber die Mühen, die sich die Frauen beim Sammeln machen, schon. Deshalb zahlen wir ihnen für 1 Kilogramm Kräuter 90 Euro. Das ist natürlich kein Stundenlohn für ihre Arbeit, aber sie freuen sich. Sie sagen sowieso, dass es ihnen nicht ums Geld geht, sie tun es einfach gerne“, erzählt die Initiatorin. Ein schöner Gedanke, von denen es bei diesem Projekt so viele gibt. Gebe es zum Beispiel von einem Kraut mehr als von einem anderen, sei dies ein Indiz dafür, dass die Menschen genau dieses im Winter brauchen. „Wir hatten Jahre, da haben alle Frauen uns Taschen voller Birkenblätter oder Schafgarbe gebracht. Diese sind dann in jeder Mischung drin“, gibt Elisabeth preis.

Über die Jahre haben die Frauen neben den Kräutern etliche Geschichten mit Weisheiten und Wissen gesammelt, sodass diese in einem Buch zusammengefasst wurden. Das Kräuterwissen überspringe nämlich immer eine Generation. „Auch junge Menschen in der Region interessieren sich dafür, aber Beruf, Kinder oder andere Verpflichtungen führen oft dazu, dass sie sich erst als Großeltern wieder intensiv mit der Materie beschäftigen“, weiß Elisabeth. So sei es kein Wunder, dass man bei den Kräuterfrauen zunächst an „alte weißhaarige Damen“ denke.

BERGTEE IST AUCH EIN BUCH

Auch ein Filmteam staunte nicht schlecht, als Elisabeth erzählte, dass die Idee zu Bergtee gar nicht von ihr, sondern einem jungen Studenten stamme. „Sie meinten zudem, dass wir die ersten Blüten den Bienen überlassen, wäre ein PR-Gag. Als ob wir es nötig haben, dachte ich mir. Daraufhin kam uns aber die Idee, ein Buch über unsere Geschichte zu schreiben“, erzählt die Gründerin. Gemeinsam mit Dr. Susanne Grasser, die an der Wiener Universität für Bodenkultur eine Studie über Kräuterwissen schrieb, und Dr. Barbara Fuchs vom Institut für Entrepreneurship an der Universität Liechtenstein, die mit Studierenden mehrere Interviews zu Bergtee führte, entstand ein Werk, das 2012 als eines der schönsten Bücher Österreichs prämiert wurde.

„Wir wollten damit zeigen, was Bergtee für uns ist: nämlich kein landwirtschaftliches, sondern ein soziokulturelles Projekt. Beim Sammeln, beim Mischen und bei unseren Teerunden passiert so viel im Austausch und Gespräch. Es führt Menschen zusammen, die sich vorher gar nicht kannten“, betont Elisabeth. Ein interessanter Aspekt ist dabei auch, dass es in über zehn Jahren noch keine Mischung
doppelt gab. Jede Zusammensetzung ist ein Unikat, so wie die Menschen selbst, die bei der Initiative mitwirken.

DEMUT LERNEN

Wer Bergtee haben will, kann neben den genannten Verkaufsstellen auch einfach bei Elisabeth anrufen, dann gibt sie ganz unkompliziert Bescheid, ob es noch welchen gibt. Hinter Bergtee verbirgt sich keine Marketing- und Vertriebsstrategie, denn das Projekt lebt von und mit der Natur. „Wir wollten Bergtee nie größer aufziehen, denn das kann man nur mit Dingen, die grenzenlos vorhanden sind, aber nicht mit Kräutern“, ergänzt die ehemalige Lehrerin und fragt auch bewusst: „Wozu?“ Für die Frauen aus Fontanella und Umgebung geht es bei diesem Projekt, den dazugehörigen Bergteetagen und auch Elisabeths eigenen Teewanderungen immer darum, Lehren aus der Natur zu ziehen. Erkenntnisse für sich selbst abzuleiten und ins eigene Leben mitzunehmen, was man braucht.

Vor diesem Hintergrund haben sich die Frauen für die jährlichen Bergteetage rundum Ostern im biosphärenpark.haus etwas Originelles ausgedacht. Sie stellen eine riesengroße Schachtel mit einer speziellen Gründonnerstagsteemischung auf. Diese könne man gegen alle Krankheiten einsetzen, lautet eine Weisheit. Sie besteht nicht aus sieben, sondern aus neun Kräutern. Der Bergtee wird genau an diesem Tag gemischt und weil er heilig sei, an die Gäste verschenkt. „Alle dürfen sich so viel Tee nehmen, wie sie möchten. Wir sagen dann aber: Nehmt euch einfach so viel, wie ihr braucht“, erklärt Elisabeth. Ein kleiner, aber feiner Unterschied in der Wortwahl, der dazu führte, dass noch nie jemand leer ausging. Darüber hinaus zeigen die Teefrauen die ganze Vielfalt an Blüten und Blättern, die hier wachsen, und das Bergteebuch gibt es zum Sonderpreis.

SINN STIFTEN

Der pensionierten Schulleiterin und begeisterten Mundartrednerin ist Sprache wichtig, das mache eine Region und ihre Menschen erst authentisch. Auch Bergtee zeigt auf ehrliche Art und Weise, was durch die Wertschätzung der Natur und das Zusammenführen von Menschen im Kleinen möglich ist. „Es macht mich glücklich, dass wir mit unserer Geschichte noch immer begeistern und verblüffen“, freut sich Elisabeth. Nicht mit dem moralischen Hammer, sondern mit einem sinnvollen und sinnstiftenden Projekt. „Die Veränderung, die wir uns wünschen, fängt bei uns selbst an. Wenn die Arbeit eine Quelle der Freude ist, dann ist das eine doppelte Bestätigung, dass unsere Idee auf gutem Boden wächst“ meint die Talbewohnerin abschließend.